Brief an die EU-Kommission, Dezember 2021
Sehr geehrte Frau Kommissionspräsidentin von der Leyen,
Sehr geehrter Herr Vizepräsident Timmermans,
Mit Schrecken habe ich gelesen, dass Sie Investitionen in Atomkraft und Erdgas im Rahmen der EU-Taxonomie als nachhaltig einstufen wollen.
Unser Haus steht dort, wo in der Schweiz ein Endlager für hochradioaktiven Atommüll geplant ist. Deshalb informiere ich mich seit 16 Jahren über das Thema Atomkraft. Dabei entdeckte ich, und die anderen Frauen in unserer Gruppe Kernfrauen Weinland, dass das Problem des Atommülls immer noch ein grosses Problem ist, trotz langjährigen, riesigen Investitionen in die Forschung. Der Boden, den jedes Land hat, ist verschieden. Die Langlebigkeit des hochradioaktiven Abfalls ist länger als angenommen und wurde deshalb von 200’000 Jahren auf eine Million Jahre erhöht. Jedes Land kämpft mit den Gegebenheiten und sucht die Sicherheit, die es nicht gibt..
Wer sich intensiv mit einem Thema auseinandersetzt entdeckt Zusammenhänge, die Leute nicht sehen können, die nicht an Veranstaltungen waren, die keine Fragen gestellt hatten, die die Stapel von Papers nicht gelesen hatten, die sich nur kurz eingelassen hatten. Es gibt keine Atomkraft ohne Abhängigkeiten, ohne Machtanspruch, ohne Beschönigung der Technologie, ohne Ausblenden der eigenen Grenzen des Wissens, ohne undurchsichtige Informationspolitik bis hin zur Lüge. Geheim! schwingt mit. Und das gehört zum Vokabular des Militärs. Nicht vergessen, am Anfang waren die Atombombe und der Krieg, das Militär. Das ist bis heute spürbar. Es ist kein Zufall, dass mit dem Wiederaufleben der Atomwaffen die Atomkraftwerke wieder „in“ sind.
Atomkraft ist viel zu riskant und weder nachhaltig, billig, noch CO2 neutral. Ein sicheres Endlager für den hochradioaktiven Abfall existiert nach wie vor nicht. Bitte nicht nochmals ein 35’000 Generationen übergreifendes Energieprojekt lancieren. Wir müssen heute beschämt kundtun, dass unsere Art zu leben für die ganze Menschheit lebensgefährlich geworden ist. Mit anderen Worten: Wir müssen neue Wege finden im Umgang mit Energie und nicht vergessen, dass wir selber Energie sind und Kreativität besitzen, die es zu nutzen gilt. Es sind viele neue, spannende Ansätze, die unterstützungswürdig sind. Weshalb im Alten verharren anstatt Neues zu propagieren und zu fördern?
Auch Erdgas ist klimaschädlich. Auch Elektroautos sind viel zu schwer. Auch die Körperkraft der Jungen wird durch Maschinen überflüssig gemacht. Das Alte kann nicht das Ziel sein. Unsere Veränderung zum Neuen sollte das Ziel sein. Endlich bekommt das Leben wieder Sinn.
Ich fordere Sie deshalb eindringlich auf: Stufen Sie Atomkraft und Erdgas nicht als nachhaltig ein! Nutzen Sie das Nachhaltigkeitslabel der EU-Taxonomie stattdessen, um den Ausbau der erneuerbaren Energien voranzubringen. Die Erneuerbaren haben keine Lobby und keine militärischen Förderprogramme hinter sich.
Mit freundlichen Grüßen
Renate Kolb